In einem Fachgespräch mit Anton Hofreiter rekapituliert der Fraktionsvorsitzender Bündnis 90/DIE GRÜNEN im Deutschen Bundestag die bisherige Entwicklung der Energiewende aus politischer, ökonomischer und ökologischer Sicht.
Das Interview mit Anton Hofreiter fand im Nachgang zum Besuch von Herrn Hofreiter in unserem Unternehmen am 4. Juli 2017 statt.
Jan Aengenvoort: Zunächst möchten wir mit Ihnen die bisherigen Entwicklungen der Energiewende Revue passieren lassen: Was lief gut, was lief schlecht?
Anton Hofreiter: Die Energiewende ist eines der größten und wichtigsten Modernisierungsprojekte der letzten Jahrzehnte. Sie ist ein Grundpfeiler für den Klimaschutz. Und wir haben viel erreicht in den letzten Jahren. Dass die Kosten für Strom aus Wind und Sonne so schnell auf wenige Cent pro Kilowattstunde sinken würden, war vor zwei Jahrzehnten kaum denkbar. Ein großer Erfolg, erreicht durch innovative Unternehmen, engagierte Bürgerenergiegenossenschaften und weitsichtige Politik. Doch 12 Jahren Schwarz-Rote Energiepolitik haben die Energiewende abgewürgt. Die Solarbranche liegt am Boden, die Windenergie wird ausgebremst, zentrale Herausforderungen wie der Netzausbau wurden verschleppt, die Kostenverteilung schreit vor Ungerechtigkeiten. Und obwohl Ökostrom so günstig ist wie noch nie, wird er überall gedeckelt, während die Hand schützend über die Kohle gehalten wird. Die großen Investitionen in Erneuerbare finden mittlerweile woanders statt. Das hat Folgen: seit 2009 sind die Emissionen in Deutschland nicht gesunken. Der Klimaschutz hat in Deutschland Pause gemacht.
Jan Aengenvoort: Wie sieht denn Ihrer Ansicht nach die deutsche Energielandschaft im Jahre 2050 aus?
Anton Hofreiter: Erneuerbar, effizient und dezentral. Die Energielandschaft der Zukunft wird vor allem auf Energie aus Wind und Sonne basieren, denn wir müssen unsere Wirtschaft bis spätestens 2050 vollständig dekarbonisieren. Das betrifft nicht nur die Stromversorgung, sondern auch den Verkehr, den Gebäudesektor und die Industrie. Die Energiewende muss endlich auch außerhalb des Stromsektors stattfinden. Bei dieser Herausforderung stehen wir gerade erst am Anfang. In Zukunft werden leistungsfähige Netze und Speicher dafür sorgen, dass jederzeit und an jedem Ort genug erneuerbar erzeugte Energie zur Verfügung steht. Und mit mehr Effizienz wird dies auch umweltschonend und preiswert möglich sein. Energieverschwendung können wir uns in der zukunftstauglichen Energieversorgung jedenfalls nicht länger leisten. Die Energielandschaft der Zukunft schaffen wir nur mit innovativen Unternehmen. Wenn wir es schaffen, unsere Energieversorgung schnellstmöglich vollständig zu dekarbonisieren, hat das eine nicht zu unterschätzende Vorbildwirkung.
Jan Aengenvoort: Ist das Modell Energiewende nach deutscher Prägung Ihrer Ansicht nach exportfähig?
Anton Hofreiter: Weltweit boomen die erneuerbaren Energien in einem Maße, dass Deutschland droht, den Anschluss an die Weltspitze zu verlieren. Denn bei uns sinken die Investitionen in erneuerbare Energien dramatisch. Wir müssen uns immer erinnern, warum wir das machen. Bei einer Klimaerhitzung von mehr als 2 Grad werden die Folgen der Klimakrise unkontrollierbar. Als viertgrößte Wirtschaftskraft der Welt können wir Vorreiter und Vorbild sein. Hier hat die Energiewende begonnen und hier wird sich zeigen, ob sie gelingt. Wir konnten beobachten, dass über 50 Staaten das Erneuerbare-Energien-Gesetz kopiert haben. Scheitert die Energiewende in Deutschland, ist das vor allem schlecht für uns und unsere Wirtschaft. Solarmodule werden woanders hergestellt. Elektro-Autos werden in den USA und China produziert. Aber es hat auch eine fatale Außenwirkung für andere Staaten. Viele Staaten schauen noch immer auf Deutschlands Energiewende. Also sollten wir der Energiewende endlich die Steine aus dem Weg räumen und ihr zu neuem Schwung verhelfen.
Jan Aengenvoort: US-Präsident Donald Trump hat den Ausstieg der USA aus dem Pariser Klimaabkommen erklärt. Nutzen wir in Deutschland unsere Kritik an dieser Maßnahme als Feigenblatt für unsere eigene Energiepolitik, die sich nach wie vor stark auf Braunkohle stützt und weiter stützen will - auch in Anbetracht der wohl zu verfehlenden deutschen Klimaziele 2020?
Anton Hofreiter: Trumps Entscheidung, aus dem Pariser Klimaabkommen auszutreten, ist nicht nur ein Fehler, sondern ein Verbrechen an unserem Planeten. Aber letztendlich ist es den Polarkappen egal, weshalb sie schmelzen: Ob wegen Donald Trumps ökologischer Blindheit oder wegen einer deutschen Bundesregierung, die verbissen an der Braunkohleverbrennung festhält. Kein anderes Land weltweit verbrennt mehr Braunkohle als Deutschland. Wenn wir nicht sofort die 20 dreckigsten Kohlemeiler abschalten, werden wir unser Klimaziel für 2020 krachend verfehlen. Wir Grüne haben auf unserem Parteitag ein ambitioniertes Programm beschlossen. Wir wollen bis 2030 unsere Stromversorgung zu 100 Prozent auf Erneuerbare umstellen. Raus aus der Kohle und weg vom Verbrennungsmotor. Darauf kommt es jetzt an.
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Jan Aengenvoort: Ist Autarkie in der Energieversorgung eines Staates erstrebenswert oder stellen die energiepolitischen Abhängigkeiten neben vielen sicherheitspolitischen Risiken auch einen Grund für Frieden dar?
Anton Hofreiter: Autarkie einzelner Staaten ist in einer zusammenwachsenden Welt weder möglich noch sinnvoll. Energiewende und Klimaschutz machen es sogar dringend erforderlich, grenzüberschreitend zusammenzuarbeiten. Bei erneuerbaren Energien gibt es hier eine Win-Win-Situation. So kann es bei der Stromversorgung zum Beispiel vorteilhaft sein, gemeinsame Infrastruktur für Offshore-Windparks zu nutzen und regionale Unterschiede in der volatilen Stromproduktion durch grenzüberscheitende Trassen auszugleichen.
Die Staatengemeinschaft muss aber erkennen, dass der Weg in eine erneuerbare Energiezukunft ein dezentrales Projekt ist, das mit den heute vielfach zentralistischen Marktstrukturen kaum vereinbar ist. Erneuerbare Energien können fast von jedem und überall nutzbar gemacht und ins Netz gespeist werden. Einzelne Regionen werden unabhängiger von der Versorgung mit Brennstoffen und Energie, die häufig importiert werden müssen. Das ist ein Vorteil, denn die Energiewende hin zu einer erneuerbaren Energiewelt bedeutet also auch eine höhere Energiesicherheit einzelner Staaten, woran wir auch ein sicherheitspolitisches Interesse haben. Und: es verringert das Risiko von Konflikten um Öl und Gas. Die Energiewende kann die Welt ein Stück sicherer machen.
Jan Aengenvoort: Herr Hofreiter, danke für das Gespräch!
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